Die Twosome-Briefe 11
[Montag, 14.Mai 2001]
Liebe Amélie,
hab Dank für deine Zeilen! - Wenn etwas Ruhe im Cockpit einkehrt (man übergibt an den Ersten, kann einen Moment durchatmen, du kennst das...) – lasse ich mir Tee bringen. Ja, Tee! Wie ein Engländer in einer National Geografic-Doku über das Leben auf den britischen Inseln. Mit Milch und Zitrone. Lach’ nicht! Dabei bin ich weiß Gott kein Engländer. Es würde mich sogar wundern, wenn in Tomcaville jemals ein Engländer gewesen ist. Solange ich denken kann, hat man die Fremden an einer Hand abzählen können. Ein Engländer wäre eine kleine Sensation gewesen: Stoff für seitenlange Artikel im ‚Tomcaville Cronicle’.
Und auch nachdem ich weggegangen bin, ist das sicher nicht anders geworden. Meine Mam hätte es mir erzählt. Wenn möglich, besuche ich sie einmal im Jahr. Mein Dad starb bei einem Unfall auf der Farm. Die Farm ist später verkauft worden, doch Mam hat ein lebenslanges Wohnrecht. Wenn ich Zuhause bin, stelle ich bald fest, dass sich eigentlich nichts verändert hat: ihr Gemüsegarten, die Einmachgläser im Vorratsraum, das Ehebett, das alle paar Wochen mit frischer Wäsche bezogen wird, obwohl meine Mam nicht mehr darin schläft.
Hinter dem Haus fängt der Weizen an. Es gab nichts anderes, über Hunderte von Meilen hinweg. Alles wurde dadurch bestimmt, alles festgelegt. Selbst dass ich Pilot geworden bin.
Ein lieber Gruß
Johnny
PS: Gestern habe ich mit meiner Mam telefoniert (‚Muttertag’). Sie hat gefragt, wie es mir geht und ob ich immer noch fliege… Meine Mam wollte das selbst nie: Fliegen.
Nicht einmal mit ihrem Sohn. Sie hat mir keine Steine in den Weg gelegt, als ich Pilot werden wollte. Aber sie wollte nie fliegen. Ich habe ihr das hundertmal angeboten, und jedes Mal, glaube ich, hat mich ihre Ablehnung mehr gekränkt, als ich ihr gegenüber zugeben wollte.