Reichstage (2)
Während Rosalind irgendetwas erzählt, folgt Tom mit wachsender Anspannung den Bewegungen in der Hotelauffahrt, als erwarte er bei jedem Wagen, der vorfährt, dass Belle aussteigen und ihm zuwinken würde. Nach dem Essen holt er Rosalinds Vuitton-Gepäck, einen mittelgroßen Koffer und eine Tasche, die sie bei der Rezeption abgestellt hat. Gemeinsam fahren sie nach oben. Er weiß, wie es ist mit dieser Engländerin zu schlafen. Dabei ist sie nicht einmal sein Typ. Sie ist nicht groß und nicht besonders schön. Sie hat ihn nie um Hilfe gebeten. Eher war es umgekehrt. Sie bedeutet ihm nichts, allenfalls diese Nähe, nach der er sich sehnt.
Es war schon nach Geschäftsschluss gewesen, ein angenehmes, warmes Licht beleuchtete die Auslagen. Kleider, Hosen, Röcke, gute Stoffe in Erdtönen, versetzt mit Materialien in Neonfarben, klassische Schnitte, verfremdet durch künstliche Risse, Perforierungen à la Fontana. Ein leichter Nieselregen zog vorbei, in einer jähen Windbö flogen Mantelschöße auf, Einkaufstüten schlugen gegen die Beine, Passanten hasteten schneller in Richtung Rudolfplatz, wo die Busse und Straßenbahnen abfuhren. Als er aufblickte, stand Belle hinter dem Fenster und schaute ihm in die Augen.
An diesem Abend war sie auf die Idee mit den lebensgroßen Zeichnungen gekommen. Sie drückte ihm den Marker in die Hand und stellte sich mit dem Rücken an die cremefarbene Rückwand des Showrooms.
„Einfach von oben nach unten!“
Eine drei Millimeter breite Linie, die der leisen Ironie in Belles Stimme gehorchte. So nah wie möglich am Körper entlang, die Rundung ihrer Achsel, sein Zeigefinger streifte Schweiß ab - war es denn so heiß? Dann, zwischen ihren Fingern, unterbrach ihn ihr Wispern: “Es kitzelt, Tom!”
Danach hielt sie wieder still. Schließlich kniete er vor ihr, den Rücken krumm wie ein chinesischer Reisbauer, den Kopf gegen ihren Schoß gedrückt, als gelte es eine besondere Stelle zu markieren. Belle stöhnte und kicherte zugleich, hielt aber die Augen geschlossen, nur ein, zwei Mal flatterten die Mascara-gefärbten Wimpern. Brave, tapfere Belle.
Danach zog sie weit schneller seine Umrisse. Für sie war es Routine, hingeworfen, die Geste des Entwurfs. Sein Körper erschien nun neben ihrem, sein Arm neben ihrem Arm, seine Hand berührte ihre Hand, auch wenn es nur der kleine Finger war, der an ihren kleinen Finger tippte, behutsam wie man eine Herdplatte prüft.
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